Resilienz, Innovation und Versorgungssicherheit im Gesundheitssystem
Jede Krise ist eine Chance – allerdings nur, wenn man sie aufarbeitet und Lehren daraus zieht.
Nach fast zwei Jahren, die uns das Coronavirus nun fordert, blicken wir daher auf die Stärken und Schwächen, die die Pandemiesituation im österreichischen Gesundheitssystem aufgedeckt hat. Gemeinsam mit Mediziner:innen, Expert:innen und Patient:innen entwickeln wir konkrete Maßnahmen für ein resilienteres, innovativeres und sicheres Gesundheitswesen.
Es erwarten Sie zehn aufschluss- und abwechslungsreiche Gespräche, sowie eine Zusammenstellung von Einsichten und Handlungsvorschlägen in Folge elf der zweiten Staffel!
Episoden
Episode 11
Wenn am Ende der Kräfte noch zu viel Pandemie übrig ist
Mag. Christoph Hörhan
Mag. Sophia Freynhofer MBA
Wie Entscheidungen in den Pandemiemonaten gefunden, getroffen und kommuniziert wurden, war offenkundig nicht ideal. Jetzt braucht es strukturelle Veränderungen, denn unsere Ressourcen sind nicht unerschöpflich. Ein Teil der Bevölkerung wendet sich ab – aber das Virus hat vor zu bleiben.
Folge 11 der 2. Staffel von Corona Collaterals bietet eine Zusammenschau der Lehren und Empfehlungen aus 10 Interviews mit Menschen, die sich in Wissenschaft und Praxis mit dem österreichischen Gesundheitswesen im Corona-Krisenmodus beschäftigen.
COVID-19 hat uns daran erinnert, wie wichtig Medikamente sind, sagt CEO von APEIRON und Präsident von BIOTECH AUSTRIA Peter Llewellyn-Davies. Die Erfolgsstory von BioNTech hat gezeigt, wie ein Entwicklungsprozess von vielen Jahren auf wenige Monate verkürzen werden kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Wenn Österreich besser durch künftige Krisen kommen will, braucht es gemeinsame Ziele, ehrlichen Dialog und mehr Mittel für Biotech-Projekte.
Ulrike Holzer, Obfrau von Pro Rare Austria und Sprecherin für 400.000 Menschen, die in Österreich an einer seltenen Erkrankung leiden, berichtet über die Auswirkungen durch COVID: 83% waren in ihrer Versorgung beeinträchtigt, 34% wurde empfohlen nicht ins Krankenhaus zu kommen. Sie erklärt was wir von Frankreich und Deutschland lernen könnten, um von den Erfahrungen der Patient:innen zu profitieren und warum die Umsetzung des NAP.se so wichtig ist.
Mangelnde Preparedness, Voraussicht und Umsetzungskompetenz attestiert der letzte Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger, Standortanwalt Dr. Alexander Biach als Ursachen für die aktuelle COVID Situation. Die EU-Behörde HERA und das davon inspirierte österreichische Krisensicherheitsgesetz sind wichtige Antworten darauf. Mit Willen zur Zusammenarbeit könnte Österreich statt mit COVID-Fallzahlen auch bald wieder positive Spitzenplätze erlangen, etwa in der Digital Health.
Der Intensivmediziner und Katastrophenmanager Prof. Harald Willschke berichtet über die Situation auf den Intensivstationen, spricht über die Triage im klinischen Alltag und benennt die Schwächen und Fehler im Kampf gegen die Pandemie. Er zeigt auf, warum Krisenmanagement-Systeme bei Hochwasser und Lawinen funktionieren aber bei COVID versagen und fordert daher neue Strukturen.
Ein Tag Lockdown kostet mehr, als der teuerste Impfstoff für die gesamte Bevölkerung
Dr. Bernhard Ecker
Der FOPI-Präsident Dr. Bernhard Ecker zeigt auf, wie Innovation im österreichischen System bestraft wird und warum es einer Strategie nach dem Prinzip „hit hard and early“ bedarf. Er spricht als Biochemiker und international erfahrene Pharma-Manager offen über Interessenskonflikte und fordert eine gesamtheitliche Betrachtung, um Krankheiten frühzeitig behandeln zu können. Mit Blick auf die ungleiche Ressourcenverteilung erklärt er, warum es derzeit besser ist in Österreich einen Herzinfarkt in einer Gletscherspalte zu erleiden, als an manch einer chronischen Erkrankung zu leiden.
Wenn Innovation nicht angenommen wird, hat die Kommunikation versagt
Dr. Irene Fialka
Dr. Irene Fialka, die Geschäftsführerin von INITS und Health Hub Vienna fragt, warum wir in Österreich neun Impfanmeldesysteme entwickeln mussten, wo doch ganz Indien mit einem einzigen System auskommt. Sie erklärt, wie wir gerade in der Krise von Start Ups lernen können. Nach Beispielen aus Deutschland und Frankreich fordert sie auch für das österreichische Gesundheitssystem Mechanismen für digitale Innovation, um dieses Potential für mehr Menschen zu nutzen.
Wissenschaft vor Populismus: Jetzt geht es darum, endlich die vorhandenen Möglichkeiten einzusetzen und Menschenleben zu retten. Defizite sieht Ärztekammerpräsident Dr. Thomas Szekeres vor allem in den Verwaltungsstrukturen, die oft effiziente Entscheidungen in der Krise verunmöglicht haben. Innovation in der Medizin muss sich auf das Wesentliche fokussieren.
Wir haben die Krise verschlafen und die Zukunft vernachlässigt
Dr. Christiane Druml
Laut Bioethikerin Dr. Christiane Druml gibt es in Österreich rechtlich verankerte Mechanismen, die in Public Health Krisen, wissenschaftlich fundierte und rasche Entscheidungsfindung und Kommunikation ermöglichen – leider wurden diese aber vernachlässigt. Stattdessen haben wissenschaftliche Einzelmeinungen Vertrauen zerstört. Es ist jetzt wichtig, Fake News entschieden entgegenzuwirken und politische Motive von gesundheitlichen Entscheidungen zu trennen.
Wollen wir Neues ermöglichen, müssen wir Altes zurücklassen. Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, beschreibt Mechanismen, wie Innovation in unser Gesundheitssystem kommt, fordert klare Entscheidungsstrukturen für Krisenzeiten und erklärt, warum es ein rückständiger Weg ist, bei der Kommunikation mit Impfunwilligen auf Briefe zu setzen.
Das wichtigste Learning aus der Krise vermisst Resilienzforscher Dr. Harald Katzmair: es ist ein anderes Selbstverständnis von Leadership in Krisenzeiten. Denn ein pragmatisches Verhältnis zu Unwissen bei den Entscheidungsträger:innen und ihre Fähigkeit, gemeinsam mit anderen zu reflektieren und zu lernen, ist der zentrale Resilienzfaktor. Zu versuchen, in Zeiten der Ungewissheit Souveränität und 100-Prozent-Lösungen vorzugeben führt letztlich zu Fehlern und Vertrauensverlust.